Der Android auf dem Bürgersteig

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Kapitel 1.1

 

Schmerzfrei

 

Mir geht's nicht gut. Ein Zahn oben links tut weh. Meine Zunge fühlt sich durch viele sinnlose Versuche den Schmerz wegzulecken wundgescheuert an. Der Wein schmeckt deshalb nicht mehr. Ich bestelle hier in meinem Lieblingslokal immer den leicht mineralischen Weissburgunder Schaumwein. Meine Zunge beginnt wegen der dentalen Unvernunft zu rebellieren. Küssen würde sie lieber. Viel lieber. Aber nur unverletzt und in Gedanken. Mein Freund hat mir erzählt, wie wichtig es sei, sich beim Küssen gut zu verstehen. Ich war schon mal mit einer Frau zusammen, die mich mit ihren Küssen sogar erregte. 'Je besser das mit dem Küssen passt, desto schwerer fällt es dir die Beziehung zu beenden' fasse ich gedankenverloren in diesem Tagtraum für mich zusammen. Du denkst das sei Blödsinn? Dann leck mich doch! Mit deiner Zunge.

 

Mein Ellenbogen kippelt mit einer leichten Berührung das volle Glas. Wie in Trance beobachte ich was sich in Zeitlupe abzuspielen scheint. Einer sich drehenden Münze gleich überlegt sich das Glas der Erdanziehung nachzugeben, und fällt zu Boden. Wie ein Selbstmörder, der in der 8. Etage am Geländer hängt und loslässt. Aus freien Stücken. Irgendwie befreiend klatscht es zu Boden. Ich blicke auf den Scherbenhaufen zu meinen Füssen und verstehe das Bild. Mein Leben läuft gerade gar nicht rund. Vor 6 Wochen ist sie ausgezogen. Meine Ex. Nachdem sie mich mit einer anderen erwischte. Ich lebte dort bei ihr zur Untermiete und habe ihr vermutlich meine Dankbarkeit zu sarkastisch erwiesen. Eine Woche später folgte die Kündigung, weil sie als Zahnarzthelferin für den Vermieter arbeitete. Ich musste bald darauf meinen Führerschein abgeben, da ich eine rote Ampel nach 2,4 Sekunden überfuhr. Eigentlich nur das Signal, aber trotzdem im wahrsten Sinne des Wortes. Mein Auto war schrott. Der Ampelmast blieb unbeschädigt in der Mitte des Motorblocks stehen. Fast trotzig. Die Polizei hinderte mich daran, stark betrunken die Nummernschilder abzureißen, um damit wegzulaufen.

 

Als ich vor drei Wochen das Geld für die Kaution einer kleinen Remise bezahlten wollte, behielt der Automat einfach meine Kontokarte ein. Ganz schön gierig für jemanden, der eigentlich zum Ausspucken erdacht wurde. In meiner Not fragte ich meinen Chef nach einem Vorschuss. Entweder zu undiplomatisch oder zu ehrlich. Oder beides. Drei Tage später war ich fristlos entlassen. Die Begründung lautete irgendwas mit beruflich relevanten Voraussetzungen. Als investigativer Journalist mit recherchebedingten Kontakten in betuchte Kreise dieser Stadt war es für mich sogar irgendwie einleuchtend. Zu ehrlich also. Keine Freundin. Keine Wohnung. Kein Auto. Keine Fahrerlaubnis. Kein Geld. Kein Job. Kein Zahnarzt.

 

Aber keine Lust auf Frust. Wegen Johanna. Sie arbeitet hier als Bedienung und ist mein rettender Engel. Bevor ich dem Glas hinterher springen konnte, war sie schon mit einem neuen da. Sie lächelt mich an und lässt mich während sie die Scherben auf eine Kehrschaufel fegt, tief blicken. Der Tag ist gerettet. Vielleicht kann ich ja bei ihr schlafen. Ich bin ein unverschämter Optimist. Ich bin es gerne, wenn es hilft.

 

 

 


Kapitel 1.2

 

Mandelkuchen

 

Ich versuche mich zu entspannen, als ein Android auf dem Bürgersteig entlang an mir vorbei schlendert und mich sympathisch begrüßt. Die Frage, woher ich ihn kennen könnte, stelle ich mir lieber nicht, und während der Milchschaum in meinem Cappuccino langsam zerfällt, wie meine Energie nach dem Onanieren, bestimmt ein einzelner Sonnenstrahl die Laune des Moments auf angeglichene Weise. Zufriedenheit. Obwohl Androiden oft nur in Kinofilmen existieren, ist dieser Eine auffallend real. Sein unnatürlich gleichmäßiges Schlendern hat ihn verraten - und seine frisch gestutzte Irokesenfrisur über dem androgynen jugendlichen Gesichtsausdruck, der nicht zu seinem Alter passt. Er wirkt älter und runderneuert.

Ich glaube die Kellnerin zwinkert ihm zu, während sie mir das Essen serviert, und paranoid versuche ich nicht hinzusehen. Nein. Das Essen ist bestimmt nicht vergiftet. Aber es kommt aus einer Küche, in der es angenehm nach Blausäure riecht. Frische Mandeln. Hmmm. Lecker.

 

Ich blicke dem Androiden lange hinterher und wünsche mir dabei, meinen Körper genauso konservieren zu können. Und ich bin neidisch auf seine unnatürlich gleichmäßige Schrittfolge mit dem perfekten Hüftschwung für asexuelle Wesen, oder den unberührten Gesichtsausdruck, wenn er Grußworte eloquent und deutlich ausspricht. Seine Mimik bleibt davon unberührt. Ein Android eben.

 

Ich habe mir Mandelkuchen bestellt und freue mich schon diebisch darauf herauszufinden, ob es vielleicht doch Blausäure ist, die so intensiv riecht. Schon nach dem ersten Bissen bin ich im Begriff theatralisch zu sterben und dabei den Bistrotisch samt Gedeck unter lautem Getöse umzureißen. Der Android erschrickt nicht, sondern hält kurz inne, dreht sich um, und errechnet in dieser kurzen Zeitspanne exakt meine Überlebenschancen, wenn er jetzt genau nach einer bestimmten Reihenfolge alle gespeicherten Maßnahmen durchführt. Stumpf aber effizient.

Die ca. fünfzig Meter rennt er stakkatisch in weniger als 4 Sekunden. Dabei drückt er auf seine rechte Brustwarze und öffnet eine geheimes Arzneimittelfach mit diversen Chemikalien, aus denen er in 23 Sekunden ein Gegengift herstellt, dass er mir dann intravenös verabreicht.

Die Maschine rettet mich, und ich freue mich so sehr über die erste Bekanntschaft mit einem Androiden auf dem Bürgersteig, dass ich vergesse zu fragen, woher wir uns eigentlich kennen...

 


Kapitel 1.3

 

Abendessen

 

Alexandra kocht gerne. Auch gut. Anständig. Mit viel Liebe. Malu kann ja nicht fett werden von dem Zeug, den dir eine liebende Frau ständig auftischt, wenn sie den Plan verfolgt, dich für immer in ihrer Nähe zu halten. Koche gut! Koche ausreichend! Koche ohne Rücksicht auf Kalorien! Dein Mann wird fett, bequem und unattraktiv. Aber auch für andere Frauen. 

 

Malu nicht. Seine Geschmacksnerven sind zwar nicht ausschließlich neutral generiert, aber wenn sie nicht explizit etwas schmecken, dass gefährlich oder sogar giftig auf seine biologischen Implantate wirkt, entscheidet erstmal ein Zufallsalgorithmus, wie es ihm schmeckt. Mehr oder weniger, überhaupt nicht, richtig gut oder einfach himmlisch. Einmal entschieden, bleibt die Entscheidung beibehalten. Dann für immer. 

 

Malu liebt Süßes. Schokolade, Eiscreme, Kekse. Er kann Milchprodukte nicht besonders leiden, mit der generellen Ausnahme von Käse. Sein Reflex für Brechreiz funktioniert ebenfalls. Bei Milchreis und Rahmspinat. Ein Android, der kotzt ist kein schöner Anblick. Warum auch immer haben die verdammten Erbauer vergessen, diesen Reflex mit dem notwendigen Gang auf die Toilette zu programmieren. Einfach vergessen. Dummköpfe. Malu erbricht seinen Mageninhalt sofort, sobald er Milchreis oder Rahmspinat nur etwas intensiver riecht, also vor allem im erwärmten Zustand. Auch sitzend am Tisch. Ziemlich ekelhaft und faszinierend. Fast teilnahmslos sitzt er dabei in normaler Körperhaltung und verteilt sämtliche gekauten und vorverdauten Speisereste auf dem Tisch. Selbstverständlich entschuldigt er sich dann, erhebt sich sogleich und macht die ungeplante Sauerei wieder weg. Etwas verwunderlich mit dem gleichen teilnahmslosen Gesichtsausdruck wie beim Erbrechen. Alexandra war beim ersten Mal sogar fasziniert davon, wie stoisch er die alte Ordnung wiederherstellte, ohne etwas wegzuwerfen, dass nicht kontaminiert war. Und dann setzte er sich wieder hin und aß alles recht artig auf. Ihr Androidenmann. Kochen konnte er auch. Ausnahmslos nach Rezepten aus Büchern. Ihm fehlte irgendwie die individuelle Begabung, das Essen mit Gewürzen abzuschmecken. Bestimmt war auch dies ein Fehler im Algorithmussystem Druck- oder Übertragungsfehler mussten deshalb vorher immer von Alexandra geprüft und gegebenenfalls korrigiert werden. Am besten war sie einfach anwesend, wenn Malu kochte.

 

Einmal war sie extrem scharf. Sie auf ihn. Sie zog ihr Höschen unter dem Rock aus und setzte sich kokett mit gespreizten Schenken auf den stabilen Küchentisch. Sie rief ihn keuchend zu sich. Sehr schwierig war es nicht Malu zu überreden. Sein Penis konnte immer. Seine Lust hatte nur die programmierten kurzen Pausen nach seinem Orgasmus. Mit Sperma. Jedenfalls so etwas Ähnlichem. Nur war es in diesem Fall so, dass selbst ihre triefende Erregung ausnahmsweise nicht zum Höhepunkt führte.

Malu nämlich, zog ohne Vorankündigung seinen künstlich pulsierenden Penis einfach aus der Mitte ihrer bebenden Säulen, und schreckte die Nudeln ab - sie waren jetzt nämlich al dente.

Als er fertig war und sich mit seinem erotischen Kochlöffel umdrehte, sah er nur noch wie Alexandra ihr Höschen wieder überstreifte. "Das Essen ist wohl fertig." bemerkte sie entschuldigend.

Er war dabei unschuldig geblieben. Sie küsste ihn und hielt dabei seinen prächtigen Schaft. "Zieh dich an, ich decke schon mal den Tisch. Hinterher vernaschen wir uns gegenseitig zur Nachspeise." 

"Es gibt aber doch Eiscreme heute." fügte er mit einem verständnislosen Gesichtsausdruck hinzu.

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Kapitel 1.4

 

 

 


Kapitel 1.5